Auf der Brücke über die Wertach, unten in Pforzen, kam mir auf dem Bürgersteig ein Radfahrer mit Anhänger entgegen. Auf beiden Seiten entstand eine gewisse Unsicherheit, wie wir aneinander vorbeikommen würden. Einer schien dem anderen gegenüber unsicher über den eigenen Platzbedarf.

 

Eine Stunde später kehrte ich im Gasthof zum weißen Roß in Leinau auf ein kleines Mittagessen ein.

 

 

„Wir haben uns heute schon gesehen“, begrüßte mich der Wirt „Ich war der Radfahrer auf der Brücke.“

So ergab sich sofort eine angenehme Unterhaltung. Als der Wirt mein heutiges Ziel hörte, holte er einen Stadtplan von Kaufbeuren. Er zeigte mir einen Weg, der die Stadt nur am Rande tangierte. Wie hilfreich dies war, sollte ich später feststellen. Nichts ermüdete und frustrierte mich so, wie durch eine Stadt zu laufen, umrauscht von Verkehr und Lärm, jede Menge Menschen um mich herum, Abgase und stehende Hitze.

Ich verabschiedete mich, hatte schon den Rucksack auf dem Rücken, da sagte der Wirt: “Sie haben ein gutes Stück zu laufen, so 15, nein, 18 Kilometer sind es bestimmt noch.“ Ich glaubte es nicht, hatte ich doch 21 km errechnet, von denen ich schon 11 gelaufen war.

 

Kurz nach Kaufbeuren, als ich die Straße in einer Siedlung entlang lief, etwa 1km weit, kämpfte ich. Pause wollte ich hier zwischen Asphalt und Steinen nicht machen. Doch es dauerte noch über eine Stunde bis ich einen mir geeignet erscheinenden Rastplatz fand. Auf dem Segelflugplatz jenseits von Wertach, B16 und Bahn schien ein Flugtag stattzufinden. Ich hörte das Schleppflugzeug auf- und mit gedrosseltem Motor wieder absteigen, aber ein Segelflugzeug konnte ich nicht erkennen. Der Himmel war zu hell, meine Augen tränten und brannten von Schweiß und vermutlich der Sonnencreme, die ich aufgetragen hatte.

Ich verspürte eine kleine Sehnsucht, die sich in meinen Gedanken breit zu machen versuchte. Jetzt unter einer Wolke im „Bart“, im Aufwind hängen und kreisend aufwärts steigen. Der Sehnsucht gab ich keine Chance, sich zu entfalten. Denn: ich laufe die Sehnsucht tot! (altes Landsknechtslied)

Nachdem ich gevespert hatte, ging es mir besser, eine begrenzte Zeit. Mein Rucksack zog nach links, unbewußt versuchte ich nach rechts auszugleichen, bis mir auffiel wie schief ich laufe. Auf die Idee, in meinem Rucksack etwas falsch gepackt zu haben, kam ich auf dem ganzen Weg nicht.

Durch üppig blühende Wiesen, durch kleine Wälder ging es entlang des Bären- und des Bachtelsees. Es war eine heimelige Gegend. Zwischendurch konnte ich die Alpen sehen. Doch ich wurde müder und müder, langsamer und langsamer. Ich begann Wanderlieder vor mich hin zu summen:

„Im Frühtau zu Berge“, „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“, „das Wandern ist des Müllers Lust“ und auch das schon erwähnte Landsknechtlied: „Es klappert der Huf am Stege“.

Und siehe da, mein Laufen fand einen neuen Rhythmus, mein Gang wurde aufrechter, ich selber neu motiviert.

 

Endlich Biessenhofen. Die Bahnstation Biessenhofen, so las ich, hatte König Ludwig II als Umsteigestation zur Kutsche nach Hohenschwangau genutzt. Auch soll er von hier geheime nächtliche Bahnfahrten zu Richard Wagner in die Schweiz unternommen haben. Ich jedoch war zu Fuß, müde und das Gasthaus liegt am Ende des Dorfes.

 

Ich konnte es schon sehen. Die Entfernung bis zur Wirthaustür aber schien mir unüberwindbar. Wie sagt man in Nürnberg: „ No zäichdsesi.“

 

Es zog sich wahrhaftig, das Gasthaus schien nur millimeterweise näher zu kommen.

Nichtsdestotrotz, es kam näher. Letztendlich erreichten wir einander.

 

Als ich dann unter der heißen Dusche stand, ging es mir schon besser, als ich dann erfuhr, dass es tatsächlich von Leinau bis hierher über die Seen und durch die Wiesen „auf jeden Fall 18 km, wenn nicht mehr“ seien, war ich beruhigt. Denn ich hatte schon Bedenken, wie die Wanderung wohl enden sollte, wenn schon der erste Tag mich derart schaffte.

 

 

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