Die Nymphe in der Loisach

 

 

Eine Wassernymphe, deren Heimat der Kochelsee war, liebte es, an heißen Sommertagen einen Ausflug in die Loisach zu machen. Sie ließ sich flussabwärts treiben bis zu einer Stelle, an der ein großer Baum seine Zweige tief über das Wasser hängen ließ und so ein kleines, intimes Versteck bildete. Dort schwamm die Nymphe im Gefunkel der Sonnenstrahlen auf dem Wasser und ihr langes blaugrünes Haar schwebte wie ein Fächer um ihren Kopf.

Die Nymphe interessierten besonders die Menschen hier an der Löisach. Sie beobachte die Bauern, die auf den Feldern und Wiesen arbeiteten, sie hörte die Rufe der Hirten, die Lieder der Frauen beim Heuwenden, sie sah auch die Jungen und Mädchen, die sich heimlich im Schilf küssten.

Eines späten Nachmittags entdeckte sie am anderen Ufer einen Mann, der auf einem Baumstamm saß, den Kopf in beide Hände gestützt.

„Ein schöner Menschenmann“, dachte die Nymphe, „jung, schlank, hoch gewachsen, breite Schultern, schwarze Haare, kräftige Hände. Warum nur saß er alleine ohne Mädchen?“ überlegte sie.

 

Drei Tage hintereinander kam der junge Mann, Sepp wurde er gerufen, und er war immer alleine. Da wurde die Nymphe neugierig, Sie schwamm hinüber. Der Jüngling schien traurig, er seufzte.

Nymphen sind hilfreiche Geister. Auch unsere Wassernymphe hatte Mitleid mit diesem traurigen, jungen Mann.

„Kann ich dir helfen?“ fragte sie.

„Mir kann niemand helfen“, murmelte er vor sich hin und blickte hoch. Er sah nichts als perlmuttschimmernde, blaugrüne Wasserpflanzen, wie er dachte.

Doch dann erhob sich ein mitleidig lächelndes Gesicht aus dem Wasser.

„Sage, was dich quält“, sprach die Nymphe. „Wir Wassergeister kennen viele Geheimnisse, die euch Menschen verborgen sind.“

Der Jüngling erschrak. Ein Wassergeist! Hatte nicht der Pater drüben in Benediktbeuren immer davor gewarnt, dem Glauben an heimliche Wesen und Geister anzuhängen. Hatte er nicht behauptet, sie existierten nur in den Hirngespinsten der Bauern und Fischer.

Und jetzt stieg da eine Nymphe aus dem Wasser und setzte sich neben ihn.

„Hab keine Angst“, sagte sie, „erzähle.“

Sepp schaute diese liebliche Gestalt an und fasste Mut.

Er erzählte: „ Die Kathi und ich, wir beide lieben uns. Aber ihr Vater erlaubt nicht, dass wir heiraten. Er ist der reichste Bauer weit und breit. Ihm gehören alle Felder und Wiesen, die du ringsum siehst, ihm gehören Fischereirechte am Kochelsee. Und er will, dass die Kathi den Landvogt heiratet. Der könnt´ vom Alter her fast ihr Vater sein, aber er hat ein Auge auf sie geworfen, und er kann ihr ein vornehmes Haus und angenehmes Leben bieten. Da kann ich nicht mithalten. Ich hab halt nur eine kleine Sach´ und muß mich bei den großen Bauern verdingen.“

Die Augen vom Sepp glänzten verdächtig, doch er schluckte die Tränen hinunter. Ein rechter Mann läßt sich nichts anmerken.

„Was sagt denn deine Kathi dazu?“ fragte die Nymphe.

„Ach, die Kathi, die würde mit mir weggehen ohne den Segen ihres Vaters. Aber ich kann ihr kein gutes Leben bieten, nichts als Arbeit und Sorgen um das tägliche Brot.“

„Weiß die Kathi darum?“

„Wohl weiß sie das. Und es macht ihr nichts aus, hat sie gesagt. Ich soll nur kommen und sie holen. Was soll ich tun!“ rief der Sepp aus. „ Ich will sie nicht mit meiner Armut leben lassen.“

Und als hätte das Sprechen über seine Sorgen seine Gedanken befreit, sprang er auf.

„Ich habe ein gutes Pferd“, rief er. „Ich werde mich bei den Reitersoldaten anwerben lassen. Man hat schon viel gehört, dass man aufsteigen und als Obrist zurückkehren kann. Dann wäre ich reich genug und könnte getrost meine Kathi heiraten.“

„Wird sie denn auf dich warten?“ fragte die Nymphe.

Der Sepp war absolut sicher. „Meine Kathi wartet auf mich“, versicherte er.

„Du könntest im Kampf umkommen“, gab die Nymphe zu bedenken.

„Nur wer wagt, gewinnt!“ rief der Sepp aus.

 

Da lachte die Nymphe silberhell. Der Sepp sah sie gekränkt an. Machte sie sich über ihn lustig?

„Wer wagt, gewinnt“, wiederholte sie seine Worte. „Also wage! Ich mache dir ein Angebot. Nimmst du es an, wirst du in drei Jahren so viel gewonnen haben, dass du reicher sein wirst als der Landvogt. Du musst nur Mut haben und mir vertrauen.“

„Was soll ich tun?“ Der Sepp barst fast vor Tatendrang. All seine Niedergeschlagenheit war verschwunden.

„Das kann ich dir jetzt nicht sagen. Gehe nach Hause, verabschiede dich von deiner Kathi. In drei Tagen ist Vollmond. Dann sei mit deinem Pferd eine halbe Stunde vor Mitternacht am Kochelsee, dort wo die Loisach austritt. Sei pünktlich und sprich mit niemandem darüber.“

Die Nymphe ließ sich ins Wasser gleiten und war verschwunden. Sepp stand verwundert am Ufer.

Was war das gewesen? Hatte er geträumt? Hatten seine Wünsche ihm Trugbilder vorgegaukelt? Hatte die Sonne sein Hirn getrübt?

Oder gab es wirklich Wassergeister?

 

Wie dem auch sei, der Sepp tat, was die Nymphe ihm aufgetragen hatte. Mit seinem Pferd stand er zur festgesetzten Zeit am Kochelsee.

Die Nymphe tauchte aus den Fluten. „Gut“, sprach sie, „du bist gekommen. Jetzt wird sich zeigen ob du mutig und klug bist. Genau um Mitternacht kommt ein Bergschrat herunter, um im Mondlicht zu baden. Er sucht einen Knecht für sein Bergwerk. Drei Jahre musst du ihm dienen und in dieser Zeit wirst du nicht einmal das Licht der Sonne erblicken. Drei Jahre, in denen du nicht murren und nicht klagen darfst, sonst bist du verdammt, für ewig im Berg zu bleiben. Der Schrat wird alles versuchen, dich zu halten, denn er sucht schon lange einen Knecht. Bisher hat es noch keiner gewagt, in die Finsternis des Berges hinab zu steigen. Wenn du aber durchhältst, wirst du mit großen Reichtümern zurückkehren.“

„Ich werde es schaffen.“ Der Sepp war zuversichtlich. Die Nixe riß sich eines ihrer blauschwarzen Haare aus, drehte es zu einem festen Ring und steckte ihn dem Sepp an den Finger.

„Immer, wenn du glaubst, es geht nicht mehr, dann drehe diesen Ring und für einen kurzen Moment wirst du deine Kathi sehen und wieder Mut fassen.

In drei Jahren warte ich hier auf dich.“

 

Es schlug Mitternacht. „Das werden für lange Zeit die letzten Glockenschläge sein, die ich höre“, dachte der Sepp. Doch mutig trat er zu dem Bergschrat. Dieser sah gräßlich aus. Sein ganzer Körper war schuppig wie der einer Echse. Auf seinem Kopf wuchsen vier Hörner, zwei an der Stirn, zwei über den Ohren, seine Augen glühten wie Torffeuer und blaue Blitze zuckten darin.

„Was erlaubst du dir, du Erdenwurm!“ brüllte der Bergschrat mit furchteinflößender Stimme. „Siehst du nicht, dass ich das Mondlicht genießen will! Verschwinde, ehe ich dich zerreiße in tausend mal abertausend Stücke!“

„Ich will dein Knecht sein“, sprach der Sepp mit fester Stimme, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug.

„Mein Knecht? Und mit diesem Pferd? Gehört es dir?“ Der Schrat dämpfte seine Stimme vor Überraschung so sehr, dass sie die eines übellaunigen alten Mannes hätte sein können.

„Ja“, sprach der Sepp, jetzt schon ruhig geworden. „Das Pferd gehört mir und ich werde dein Knecht sein, so du es willst.“

„Und ob ich will“, schrie der Schrat hingerissen von diesem Angebot. Doch dann wurde seine Stimme wieder hart. „Du kennst die Bedingungen: Keine Klagen, keine Verweigerung drei volle Jahre lang.“

„Ich kenne sie.“

„Dann komm!“

Ehe der Sepp auch nur einen Schnaufer getan hatte, fand er sich mit seinem Pferd in einer unterirdischen Höhle. Drei Schächte gingen davon ab.

 

„Im ersten Schacht wirst du Silber finden, im zweiten Gold und im dritten Kohle. Jeden Tag wirst du in einem anderen Schacht abbauen. Hier ist dein Werkzeug.“ Der Bergschrat gab Sepp Pickel, Schaufel und einen Karren.

Dann deutete er auf einen Gang, der von der großen Höhle abging. „Dahinter liegen drei Kammern, je eine für Gold, Silber und Kohle. Die musst du auffüllen. Achte darauf, dass nichts vermengt wird, dass kein Stäubchen Kohle auf dem Silber oder dem Gold liegt, kein Stein und sei er noch so klein, kein Sandkorn zwischen den Kohlen.

Alle drei Tage komme ich vorbei, kontrolliere deine Arbeit und bringe dir und deinem Pferd die nötige Nahrung.“

Damit verschwand der Schrat und Sepp begann zu arbeiten. Er war schwere Arbeit gewöhnt. Doch diese hier war härter als er es je geahnt hätte.

Es war heiß hier unten im Berg. Nur eine kleine Lampe erhellte die Dunkelheit. Der Sepp schlug Silber, Gold und Kohle aus dem Gestein, sein Pferd zog es mit dem Karren zu den Kammern. Am schlimmsten war der Kohlestaub, der überall zu schweben schien und das Gold und Silber verschmutzte.

Oft glaubte der Sepp am Ende seiner Kräfte zu sein. Doch dann drehte er den Ring aus Nymphenhaar. Vor seinen Augen erschien seine Kathi als stände sie leibhaftig vor ihm, eine neue Kraft durchströmte ihn, und die Arbeit ging wieder leichter voran.

 

Nie war der Schrat zufrieden. Das eine Mal arbeitete Sepp ihm zu langsam, ein ander Mal fand er Kohlestaub in der Goldkammer, wieder ein ander Mal entdeckte er einen Silberklumpen auf der Erde, der vom Wagen gefallen war. An manchen Tagen schrie und schimpfte der Schrat nur, schalt Sepp einen undankbaren und faulen Gesellen. Kurz, er wollte ihm das Leben schwer machen, hoffte er doch, dass Sepp ein einziges Mal nur aufbegehren wollte.

Jeden Tag, wenn er ging, fragte er den Sepp freundlich oder bösartig, je nach Laune: „Gefällt dir die Arbeit noch? Tut es dir nicht leid hier unten zu sein ohne Sonne, ohne blauen Himmel, ohne Vogelgezwitscher?“

Der Sepp aber antwortete immer: „Ich habe es so gewollt.“

Als die drei Jahre um waren, sprach der Bergschrat zum Sepp und seine Stimme war sogar ein wenig freundlich, was man von einem Schrat nicht unbedingt erwarten kann: „Du hast gut gearbeitet und mir ohne Murren treu gedient. Es tut mir leid, dass du gehst, aber so ist die Abmachung. Hier hast du deinen Lohn.“ Er gab dem Sepp einen Beutel voll mit Golddukaten. „Wenn du sorgfältig mit dem Gold umgehst und auch die Armen nicht vergißt, dann wird der Beutel nie leer.“

Noch ehe der Sepp danke sagen konnte, war der Bergschrat verschwunden. Der Sepp aber fand sich und sein Pferd am Kochelsee wieder, da wo er vor drei Jahren den Schrat getroffen hatte, der Vollmond leuchtete ebenso hell wie vor drei Jahren. Es kam ihm plötzlich vor, als wäre die Zeit nicht vergangen. Auch die Nymphe wartete auf ihn wie versprochen. Sepp dankte ihr so viel, dass sie ihn lachend unterbrach: „Ist schon Recht. Jetzt aber lauf nach Hause.“

 

Das tat der Sepp auch. Noch in dieser Nacht klopfte er ans Kammerfenster seiner Kathi und sie hat ihm aufgemacht.

 

Der Sepp kaufte sich einen großes Gut, Vieh, Weide-, Wiesen-, Ackerland und spendete für die Armen. Jetzt konnte er seine Kathi heiraten und ihrem Vater war der wohlhabende Schwiegersohn hoch willkommen.

 

Als sie aus der Kirche kamen, und alle schon ins Gasthaus zum Feiern gingen, fasste Sepp seine Kathi an der Hand und führte sie an die Loisach, dorthin wo er die Nymphe zum ersten Mal getroffen hatte.

Sie war nicht zu sehen, aber der Sepp war sicher, dass sie in ihrem Versteck unter den Zweigen lag. „Danke!“ riefen die beiden, „Dank´ dir schön und vergelt´s Gott.“

 

 

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