Die Schnecke und der Schmetterling

 

 

„Wo willst du hin?“ fragte sie neben meinen Wanderschuhen. Ich beugte mich hinunter und sagte ihr mein Wanderziel.

„Ach“, meinte sie, „da komme ich her. Es ist ein gutes Stück Weg, aber nicht so schlimm. Du hast es einfacher als ich. Dein Gepäck wiegt prozentual weniger als meines.“ „Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass du von Kochel am See bis hierher gekommen bist!“

„Aber selbstverständlich“, antwortete die Schnecke leicht beleidigt.“ Ich habe eine Wette abgeschlossen.“ „Bitte, was für eine Wette hast du abgeschlossen?“ “Das ist eine längere Geschichte.“ Die Schnecke machte es sich bequem und begann zu erzählen:

„Mein Zuhause ist eine wunderschöne Wiese an der Loisach. Nur ein schmaler Fußweg führt entlang. Fast nie kommt irgendein Mensch, der die Ruhe stört, vorbei. Beinahe ein Paradies. Im zeitigen Frühjahr war da plötzlich ein Schmetterling, ein Zitronenfalter. Er war ein flatterhaftes Ding, wie eben Schmetterlinge so sind. Aber dieser übertrieb es.

Er tanzte! Es wäre noch tolerierbar gewesen, wenn er Walzer oder vielleicht einen Slowfox getanzt hätte. Aber nein! Er tanzte Polka, Dreher, und Boogie-Woogie mit Überschlag und doppeltem Salto.

Es schien, als wollte er nicht nur jede Blüte beeindrucken, - was verständlich gewesen wäre - sondern auch die anderen Zitronenfalter. Ich nehme an, er war sehr von sich eingenommen.

Eines Morgens erdreistete er sich, seine Kapriolen über meinen Fühlern zu drehen. Er streifte mich sogar, so dass ich ein Auge schließen musste.

“Sie sind, vorsichtig ausgedrückt, unverschämt, junger Mann“, sprach ich zu ihm. Er schien überrascht. „Gefallen Ihnen meine akrobatischen Kunststücke nicht?“ fragte er verblüfft. „Nein, sie gefallen mir nicht. Es wirkt so würdefern. Wenn Sie Menuett oder Walzer tanzen wollten, das würde mir gefallen und es wäre einem Falter wie Ihnen angemessen.“

Der Zitronenfalter lachte, ein wenig herablassend wie mir schien. “Sie, die sie sich nur so langsam fortbewegen können, Sie, der alle Leichtigkeit des Seins ferne ist, sie können einen Tanz, welchen auch immer, nicht beurteilen. Den Blumen hier jedenfalls scheint mein Tanz zu gefallen.“

„Nun“, antwortete auch ich ein wenig herablassend, „den gewöhnlichen Wiesen- und –Sumpfblumen, die hier stehen, denen mag das wohl gefallen, sie kennen keine Kultur und feine Lebensart. Wenn die vielfarbenen Tulpen und die duftenden Rosen Ihre Tanzerei sähen, sie würden ihre Köpfe abwenden und sie ignorieren.“ „Das glaube ich nicht“, der Zitronenfalter wurde wütend. „Wo finde ich diese Tulpen und Rosen, ich will hin und ihnen meine Kunst zeigen.“

„Ich habe gehört, in Bad Wörishofen gäbe es einen Kurpark, in dem alle diese stolzen Blumen und noch andere blühen. Aber das ist weit, selbst für Sie, 90 km Luftlinie, nehme ich an.“ „Entfernungen sind kein Problem für mich!

Ich schließe eine Wette mit Ihnen ab: diese Blumen werden mich lieben, sobald sie nur den ersten meiner Tänze sehen. Sie werden mich bitten, bei ihnen den Sommer über zu bleiben.“

Der Vorschlag einer Wette gefiel mir. Ein bisschen Abwechslung könnte meinem Leben gut tun. Also ging ich auf darauf ein. „Wetten wir! Was ist der Wetteinsatz? Ich für meine Person verspreche Ihnen, sollten die Blumen im Wörishofener Kurpark Sie wegen ihrer Tänze bitten zu bleiben, werde ich bei Ihnen Tanzunterricht nehmen.“ –

„Mutig,“ lachte der Zitronenfalter, „wenn ich verlieren sollte – was nicht eintreten wird, - aber falls ich verlieren sollte, dann, dann...“ er überlegte ein Weilchen‚“dann werde ich Ihnen umsonst Tanzunterricht geben, und am Ende werden Sie –das garantiere ich- die einzige Weinbergschnecke sein, die einen langsamen Walzer tanzen kann.“ Das gefiel mir. Irgendwie hatte dieser Zitronenfalter mich leichtsinnig gemacht. Wir haben beschlossen, uns Ende des Sommers in Bad Wörishofen zu treffen, um zu sehen, wer gewonnen hat. Bisher war ich gut zu Fuß, ich werde etwas früher da sein.“

Soweit ich die Mimik einer Schnecke beurteilen kann, schmunzelte sie zaghaft in sich hinein. Ob sie wohl daran dachte, dass, egal wer die Wette gewinnt, sie wirklich die einzige tanzende Schnecke sein wird. Wer weiß.

 

„Gut Spur!“ wünschte sie noch, drehte ihren Kopf, kroch erneut bergan und war auch schon vorbei.

 

 

| zurück | weiter |