Die Spatzen von Benediktbeuren

 

 

Zu Beginn der warmen Jahreszeit rief der Clanälteste die Spatzen von Benediktbeuren zusammen. Auch die jüngsten durften dabei sein, es wurde ihnen jedoch eingeschärft, nicht dazwischen zu tschilpen und sich nicht untereinander zu jagen. Der Clanälteste war ein erfahrener Spatz und sein Ruhm reichte weit über den Clan hinaus. Es galt als der „Weise vom Quellstein“. Wie er zu diesem Namen kam, ist eine andere Geschichte.

Heute hielt er seine alljährliche Rede zur Eröffnung der Biergartensaison. Die Älteren kannten den Inhalt schon, doch aus Respekt und Achtung hörten sie ihm jedes Mal zu, für die Jungen war es etwas Neues:

„Meine Lieben“, begann er, „der Winter ist vorbei, bald verlassen die Menschen wieder ihre Häuser und setzen sich zum Essen und Trinken ins Freie. Das bedeutet für uns ein leichtes Futter. Der Biergarten vom Kloster ist ein reiches Feld, denn die Menschen können nicht manierlich essen. Sei lassen Futter von ihrem Tisch fallen. Manchmal füttern sie uns sogar, mit Brot und Kuchen.

Doch ich warne euch:

Hütet euch vor den Menschen. Sie sind hinterlistig. Sie sind nie berechenbar, manchmal locken sie euch an, manchmal trachten sie euch nach dem Leben.

 

Nehmt Futter von den Tischen nur, wenn die Menschen bereits gegangen sind. Nehmt immer nur so viel Futter, dass ihr rasch davon fliegen könnt, wenn es nötig wird. Achtet darauf, dass ihr freie Flugbahn habt.

Noch ein letzter Rat an die Jungen unter euch. „Seid nicht tollkühn. Es gibt viele alte Spatzen, aber wenig tollkühne alte.“

 

Die Biergarten-Saison war für die Älteren Routine, für die Jungen aber ein aufregendes Abenteuer.

An einem Samstag, es war ein warmer Sommertag, und viele Ausflügler besuchten den Biergarten des Klosters, saß unter einem Baum eine Frau und aß Weißwürste mit Brezeln.

Sie versuchte die Spatzen zu locken. Sie legte Brezenkrumen in einer Reihe von ihrem Teller bis an den Tischrand. Eine Gruppe junger Spatzen sammelte sich um sie, unter ihnen auch Xaver. Er beobachtete genau die Szene. Nahe beim Teller lag ein großes Stück Brezel, von dem die Frau immer wieder kleine Brösel abnahm und sie in Richtung der Spatzen schnippte. „Die Krumen sind beleidigend klein“ dachte Xaver. „Kaum hat man so eine Krume aufgepickt, muß man schon wieder anfliegen für die nächste.“

Xaver peilte das große Stück Brezel an. Wenn er dieses ergattern könnte, dann würde er mit seinen Kumpeln ein Festessen veranstalten. Er wurde ganz aufgeregt. Die Mahnungen des Clanältesten wurden zu einem schattenhaften Erinnern, Jagdfieber hatte ihn gepackt.

Als ihm der Augenblick günstig schien, machte Xaver einige schnelle, mutige Hüpfer, er nahm das große Stück Brezel auf und startete durch.

„Oh, Oh, oh,“ ein plötzlicher Schreck durchzuckte ihn. “Es ist zu schwer, ich bekomme keine Höhe!“ Und tatsächlich Xaver schmierte ab. Aber loslassen wollte er seine Beute nicht.

Tief holte er Luft. „Ich schaffe es!! Ich schaffe es!“

 

Diese Gedanken gaben seinen Flügeln neuen Auftrieb. Er erreichte den untersten Ast einer Kastanie. Seine Beine zitterten, sein Herz klopfte, als wäre es ein Hammerwerk. Doch er ließ sich nichts anmerken. Seine Kumpel flatterten um ihn herum voll Aufregung und voll Begeisterung. Die Spatzenmädchen, selbst einige ältere Spatzendamen, sahen ihn bewundernd an. Welch ein mutiger Mann, ja, welch ein schöner Mann! Jetzt entdeckte man plötzlich, welch herrliches Gefieder er hatte.

Xaver war ein Held geworden und man nannte ihn: „Heros des Biergartens“.

 

Einen Beinamen zu erhalten, ist bei Spatzen die erste Voraussetzung dafür, einmal Clanältester zu werden.

 

 

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