2. Tag

 

Von Landsberg am Lech bis Mundraching

 

 

Der neue Tag begann grau, es nieselte. Der Wetterbericht in den Nachrichten um 8 Uhr brachte eine aufmunternde Voraussage: „Je älter der Tag wird, umso besser das Wetter.“

Nach einem ausführlichen Frühstück starteten wir um halb zehn Uhr. Winfried blieb zu Hause, Jemand musste sich um den Hund kümmern.

 

 

Ab Landsberg wollte ich bis Füssen den Lechhöhenweg laufen. Etwa 2 km gingen Bärbel und ich durch die Stadt bis zum Ausgangspunkt am Lechwehr unterhalb der Karolinenbrücke..

Bärbel zeigte mir noch einige Sehenswürdigkeiten der Stadt, so den Mutterturm, und berichtete aus der Stadtgeschichte. Landsbergs Hauptplatz gilt als einer der schönsten kleinstädtischen Plätze in Süddeutschland, das Bayerntor als eines der schönsten Stadttore Bayerns. Von den alten Befestigungsanlagen sind noch wesentliche Teile erhalten. Die neuen Bauten innerhalb der Altstadt fügen sich harmonisch und bruchlos in den alten Hausbestand ein.

Ich hatte schon früher Landsberg ausführliche Besuche abgestattet, so dass ich mich heute auf die Sehenswürdigkeiten am Wege beschränkte.

 

 

Der Mutterturm ist heute ein Museum mit Bildern des deutsch-englischen Malers Hubert von Herkomer, der ihn 1888 als Wohnung und Atelier errichten ließ und ihn dem Andenken seiner Mutter widmete.

Wir überquerten die Karolinenbrücke,

 

 

schauten fasziniert auf die rauschenden Wasser des Lechwehrs, bogen dann rechts ab auf den Lechhöhenweg, dessen Beschilderung bis auf Ausnahmen immer gut zu finden war.

 

 

Wir kamen am Aquarium vorbei. Es wirkte dunkel und trist. Das mag am Wetter gelegen haben. Jedenfalls kümmerten wir uns nicht weiter, sondern wanderten entlang des Lechufers in den Wildpark zum Wildsaugehege.

 

 

Die Sauen eilten – wenn auch nicht in unziemlicher Hast - aus ihren Kuhlen und Verstecken hervor, wohl in der Erwartung gefüttert zu werden. Als nichts dergleichen geschah, wendeten sie sich gemächlich ab. Etwas beleidigt, so schien es, wollten sie uns demonstrieren, dass sie nicht auf Fremde angewiesen waren. Sie zeigten sich auch nicht bereit, für ein Foto zu posieren. Ihr Interesse an uns war erlahmt.

 

 

Weiter wanderten wir jetzt bergauf durch den Wald zur Lechkante. Da das Wetter noch immer unfreundlich war, präsentierte sich der Lech unter uns ebenfalls grau in grau. Überhaupt verdeckten die Bäume oft den Blick auf den Lech.

 

Nicht lange blieben wir auf der Höhe. Ein schmaler Steig führte hinab in eine Schlucht und wir standen staunend vor einem blauen Diamanten eingebettet in smaragdenes Laub: einem winzigen Stausee.

Das Wasser schien klar, doch der Grund war nicht zu erkennen.

 

 

„Das blaue Wasser.“ Nach einer alten Sage ist solches Wasser lebensspendend.

 

Wir überquerten das Wehr, folgten dem Bach, der zwischen Felsen, gestürzten Bäumen schäumend zum Lech fließt, zur „Teufelsküche“. Dies ist ein Gasthaus und wartete zu dieser frühen Tageszeit noch auf Gäste.

 

Der Lechhöhenweg hatte sich wieder hinab ans Lechufer begeben, Nach wenigen Kurven tauchten vor uns die ersten Häuser von Pitzling auf. In Pitzling steht eine von Domenikus Zimmermann erbaute Wallfahrtskirche, die Schlosskapelle. Unser Weg führte daran vorbei. Es zog uns allerdings nicht zur Besichtigung. Wir gingen weiter, tranken ein paar Schlucke frischen Wassers am Brunnen bei der Kirche, und zogen wieder hinauf auf den Weg oberhalb des Lechs, der an Koppeln vorbei in einen Wald weist. Hier überlegte Bärbel, ob sie Winfried anrufen sollte, dass er sie abholen käme.

Da sahen wir vor uns am Waldrand aus einem Auto mehrere Kinder steigen, eine junge Frau holte Kanister und Kannen aus dem Kofferraum. „Hier gibt es einen Waldkindergarten, habe ich gehört“, meinte Bärbel und frug auch gleich die junge Frau.

 

Ja. Hier hat der Waldkindergarten Pitzling sein Domizil. Ein bunt bemalter Bauwagen dient als Wetterschutz. Eine Holzterrasse ist vorgebaut und am Geländer hängen die farbenfrohen Rucksäcke der Kinder.

 

 

Wir wurden eingeladen, unsere Brotzeit am langen, aus dicken Bohlen gefertigten Holztisch zu halten, während die Kinder um uns herum im Wald spielten: die Mädchen hatten sich in Pferde verwandelt und zeigten uns verschiedene Gangarten, die Jungen schienen eher Entdecker oder Piraten zu sein. Jedenfalls nahmen sie uns kaum zur Kenntnis.

 

    

 

Da ich selber ausgebildete Erzieherin bin und lange Jahre in diesem Beruf gearbeitet habe, interessierte mich ganz besonders für die Arbeit in diesem Waldkindergarten. Der Idee der Waldkindergärten liegt ein besonderes pädagogisches Konzept zu Grunde. Kinder sollen in und mit der Natur Lebensvorgänge erkunden und erfassen, sich selber als Teil der Umwelt und Gestalter und Bewahrer dieser Welt erkennen. Gleichzeitig entwickeln sie ihre geistigen, körperlichen und psychischen Fähigkeiten in einer weitgehend freien Umgebung ohne Türen und Wände bei fast jedem Wetter.

Dieser Waldkindergarten hat mehrere 100 qm Spielfläche oder auch Lernfläche, wenn man es so sagen will. Kinder lernen stets im Spiel. Die Diskussionen darüber, wie viel Lehrinhalte ein Kindergartenalltag enthalten soll, sind müßig, angezettelt von Nicht-Fachleuten, die keine Ahnung von Entwicklungspsychologie und Kleinkindpädagogik haben, die anscheinend noch nie den natürlichen Wissensdrang und die unendliche Neugier von Kindern beobachtet haben. Das ist mein Fazit aus jahrelangen Diskussionen und Kämpfen, den Kindergarten als eigenständige Bildungseinrichtung und nicht als Bewahranstalt anzuerkennen.

 

Im Waldkindergarten Pitzling sind 18 Kinder in der Gruppe. Am Bauwagen und einer „Pinwand“ im Freien werden Aktivitäten durch Fotos und Kinderbilder dokumentiert. Eine Hütte aus Zweigen bietet Rückzugsmöglichkeiten. Was ich für einen Thron oder Sitz für Rollenspiele hielt, entpuppte sich als der Waschplatz, Er ist besonders hervorgehoben, denn Wasser muß in Kanistern aus dem Ort gebracht werden.

Es gibt kein vorgefertigtes Spielzeug, Der Wald ist Kulisse, Naturmaterialien werden zum Spielen herangezogen.

 

Als wir wieder aufbrachen, wurden wir freundlich mit den Worten „Gott segne sie.“ verabschiedet. Gottes Segen auch für die Kinder und Erzieher dieses Kindergartens.

 

 

 

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