Die Wegwarte (erzählt aus der Erinnerung)

 

 

Zu der Zeit, als Burschen noch auf Wanderschaft gingen und Mädchen brav auf sie warteten, lebte ein fescher Geselle des Müllerhandwerks. Er machte sich auf, wie es seine Zunft forderte. Sein Mädchen begleitete ihn bis zum Wegkreuz am Dorfende und er versprach ihr:

„Sommer in einem Jahr komme ich zurück. Warte hier auf mich. Ich werde glücklich sein, bei meiner Rückkehr als erstes dich zu sehen. Zieh das blaue Kleid an, welches du heute trägst. Es passt so gut zu deinen Augen und ich werde dich dann schon von weitem erkennen.“

Das Mädchen versprach ihm alles, denn es liebte ihn.

 

Ein Jahr verging, der Sommer begann, und jeden Tag wartete sie in ihrem blauen Kleid an der Landstraße auf ihn. Der Sommer stieg hoch zu seiner Blüte, er sank herab zu ersten Zeichen des Herbstes. Der Jüngling war nicht gekommen.

 

Und als der Winter mit seiner weißen Macht das Land erstarren ließ, erstarrte auch das Herz des Mädchens. Man trug es zu Grabe. Alle wunderten sich, wie ein so junger Mensch ohne krank gewesen zu sein von einem auf den anderen Tag sterben konnte.

 

Der Junge aber hatte in einer anderen Stadt ein Mädchen von gefallenwollender Schönheit getroffen. Dieses fesselte sein Denken und Wollen über ein Jahr. Dann erkannt er, dass er nicht allein ihr Geliebter sein konnte, und er erinnerte sich seines Versprechens. Doch der Sommer war schon lange vorbei, es begann der neue Frühling, als der Bursche sich aufmacht, zurückzukehren, zu dem Mädchen, das auf ihn wartete.

 

Als er das Wegkreuz vor dem Dorf erreichte, blühten da wunderbare blaue Blumen an einem harten Stängel, und blickten ihm entgegen:; blau wie die Augen seiner Liebsten, blau, wie ihr Kleid, das sie zu seiner Rückkehr tragen wollte.

Aber sein Mädchen stand nicht da.

 

     

 

Die Leute im Dorf erzählten ihm von ihrer Treue. „Dort, wo sie auf dich den ganzen Sommer über gewartet hat, da blühen jetzt diese Blumen . Wir haben sie Wegwarte genannt.“

 

Jeden Sommer erinnert die Wegwarte an die Hoffnung der Mädchen und die Sorglosigkeit der Burschen.

 

 

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