4. Tag

 

Von Wildsteig bis Peißenberg

 

 

Als ich am Morgen aufbrach, war die Erde dabei sich zu trocknen, das Gras stand wieder aufrecht. Ich wanderte los in einen herrlichen, einen großartigen Tag mit klaren Sichten.

 

 

Blick über den Schwaigsee.

 

In einem Hohlweg im Sebastianswäldchen rutschte ich über einen Stein. Doch ich fiel nicht. Aber mein rechtes Knie tat empfindlich weh. Der gesamte Hohlweg war zugeröllt und voller Schlamm vom nächtlichen Unwetter. Eine größere Auspack- und Umziehaktion war die Folge. Ich holte meine vorsorglich mitgenommenen Knieschützer hervor und nahm die Stöcke. Das Knie tat wirklich weniger weh. Vielleicht war´s auch Einbildung. „Alles fängt im Kopf an.“ Wer auch immer das gesagt hat, er mag Recht haben.

In Rottenbuch auf der Brücke über den Mühlbach begegnete ich drei Radlern. Einer von ihnen lachte mich an und fragte, wohin ich gehe. „Nach Peißenberg".

“Dafür hättest nicht so früh aufstehen brauchen, wenn´d nur bis Peisenberg willst. Wart` etwa einer auf dich?“

„Ein Zimmer wartet auf mich.“

„Ist bestimmt das Bett schon angewärmt, bis daß´d kommst.“

Sollte ich eine solche Variante vielleicht bei der Planung meiner nächsten Tour vorsehen!?

 

In Rottenbuch stand ich vor der Pfarrkirche, entschlossen, sie zu besichtigen.

 

 

Da kamen zwei Reisebusse und entließen ihre Fracht. Jetzt war klar, dass ich weitergehen würde. Ich nahm den Radweg, aber er gefiel mir nicht und im Ammertal an der Brücke, wo Fuß- und Radweg wieder zusammentreffen, nahm ich den Wanderweg.

Ich überquerte die Staatsstraße, fand auch prompt das Zeichen der gegenläufigen Krummstäbe. Ein Steg führte über einen Bach. Zum Glück gab es ein Geländer, denn als ich den ersten Schritt darauf tat, rutschte mein Fuß weg wie auf Eis. Der Steg war glitschig von Erde und Regen. Jenseits des etwa 1 Meter breiten Stegs fand ich das nächste Zeichen für den Prälatenweg zusammen mit einem anderen Wegzeichen, einem roten Punkt in einem roten Kreis. Ich folgte beiden Zeichen und plötzlich gab es für mich nur noch rote Punkte in rotem Kreis, die Prälatenwegmarkierung fand ich nicht mehr.

Die roten Punkte waren zahlreich und jede Biegung des Fußpfades, denn das war inzwischen aus dem Weg geworden, gut markierend. Das war bitter nötig. Es ging durch einen Wald aufwärts über einen steil abfallenden Hang, an dessen Fuß die Ammer rauschte. Die Erde war aufgeweicht, der Weg manchmal nur zu erkennen durch die roten Markierungen an den Bäumen.

Bei jedem Schritt setzte ich vorsichtig den Fuß auf, um zu prüfen, ob ich festen Stand gefunden habe. Ich nahm einen meiner Stöcke zur Hilfe und konzentrierte mich allein auf den Weg vor meinen Schuhen. Es ging besser. Trotz aller Vorsicht, als ich den Stock neben einem Schößling in die Erde setzte, gerade mein Gewicht darauf verlagerte, ging ein etwa 50 Quadratzentimeter großes Wegstück mitsamt meinem Stock ab. Links hielt ich mich an einem Strauch fest und fand wieder das Gleichgewicht. Da erst stellte ich fest, wie tief ich abgerutscht wäre, hatte ich mich nicht gefangen. Auch wenn ich mich nach links geworfen hätte, wäre dass nicht klug gewesen, denn genau an dieser Stelle gab es noch etwa einen Meter „Land“, bevor es vielleicht hundert Meter senkrecht hinab in eine andere Schlucht ging.

 

     

 

Grün-braune Wildnis nach nächtlichem Unwetter.

 

Ich dachte daran, umzukehren und nach einem besseren Weg zu suchen. Doch der Blick zurück sagte mir, dass dies noch schwieriger werden würde. Also weiter aufwärts. Irgendwann wird der Aufstieg ein Ende haben. Noch immer fiel auf der einen Seite der Hang in irgendwelche Tiefen, die Ammer war nicht mehr zu sehen und zu hören.

 

Endlich kam ich aus dem Wald auf eine weniger steile Wiese. Ein breiterer Weg führte entlang eines Weidezaunes. Ich atmete auf.

Entlang des Wiesenweges stieg ich weiter und war sicher, richtig zu sein, umso mehr als ich vor mir einen Bauern gehen sah und weiter oben ein Haus erblickte.

Plötzlich jedoch stand ich vor einem quer verlaufenden Weidezaun, der noch obendrein eine Stacheldrahtbewehrung hatte. Ich fand keinen Durchgang und wunderte mich, wohin der Bauer gegangen war. Da sah ich ihn wieder, etwa 1oo Meter vor mir. Also, es musste es einen Durchgang geben. Trotzdem fand ich ihn nicht, ging ungefähr 5 Meter abwärts, wo mir der Zaun nicht mehr zu hoch zum Übersteigen erschien, um dann wieder aufwärts an die alte Stelle zu gehen und weiter dem einmal eingeschlagenen Wiesenweg zu folgen.

Nach einiger Zeit das gleiche Spiel, erneut versperrt ein querlaufender Weidezaun den Weg, wieder mit Stacheldraht verstärkt. Zu allem Überfluß stand ich genau an der Stelle, an der die Kühe sich sammeln, wenn sie darauf warten, in den Stall geholt zu werden. Die Erde war weich, morastig und durchsetzt mit Kuhdung. Bis zur halben Stiefelhöhe stand ich in der „sämigen“ Brühe. Der Bauer, der bisher meine Leitfigur war, war verschwunden.

 

Um den Weidezaun zu überqueren, stieg ich wieder einige Meter hinunter.

Endlich oben angekommen, bemerkte ich, dass ich mich einem Bauernhof von hinten näherte. „Jetzt fehlt nur noch ein frei laufender Hofhund zu meinem Glück“, dachte ich.

 

Zum Glück war das Glück nicht vollkommen.

 

Ich querte den Hof, kam auf eine Straße und sah, man stelle sich die Überraschung vor, das Zeichen des Prälatenwegs, ganz so als sollte es ein tröstliches Zeichen für die vorangegangenen Strapazen sein.

 

Wie ich am Abend in der Beschreibung feststellte, verläuft der Prälatenweg viel einfacher. Wo auch immer ich die Markierungen verloren hatte, dankbar bin ich nach wie vor für den roten Punkt im roten Kreis.

 

Nach kurzer Rast ging ich weiter, nicht den Krummstäben folgend sondern der Straße. Im Augenblick war mir nicht der Sinn nach eventuellen weiteren abenteuerlichen Passagen. Das Postauto kam mir entgegen, der Fahrer winkte freundlich heraus. Es war übrigens das einzige Auto, das mir auf der Straße in Richtung Pischlach begegnete. Beim Hinweis „Pestfriedhof“ verließ ich die Straße, bog in einen Wanderweg ein und erreichte irgendwo vor Böbing wieder den Prälatenweg.

 

 

Ein Kreuz mit der Inschrift: „Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt“, schien mir sehr symbolhaft.

 

 

 

Sonnenuhr in Böbing.

 

Lourdesgrotte.

 

 

In Böbing habe ich zum ersten Mal auf meiner Wanderung richtig zu Mittag gegessen. Im Gasthof Haslacher. Ich bestellte mir sogar ein Weizenbier. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nur des Abends ein Bier zu trinken. Doch jetzt hatte ich einfach Lust darauf. Wofür sind Vorsätze gut, wenn man sie nicht ab und zu bricht.

 

Richtig gut gelaunt folgte ich nun dem Prälatenweg aus Böbing hinaus. Wind war aufgekommen. Auf der Höhe wuchs er sich zu einem Sturm aus. Er beugte das Gras zu einer dick gepolsterten, wiegenden, grünen Matte.

 

 

Durch die Fichten brauste er heran, überholte mich, um erneut Anlauf zu nehmen. Hin und wieder verwehte eine Bö den Schritt, so dass ich zur Seite statt nach vorne trat.

 

Ich hatte eine klare Sicht zu den Bergen über das sanft hügelige Voralpenland und genoss die Einsamkeit in der Natur.

 

 

Selbst das Moorgebiet, welches ich durchlief, hatte heute keinen melancholischen Einfluss auf meine Stimmung. Vielleicht lag es daran, dass der Weg durch das Filz nur kurz war, der Himmel so leuchtend weiß-blau, der Sturm so erfrischend. Ich liebe es in starkem Wind oder Sturm zu laufen, wenn ich gegen die Böen angehen muß oder mich von ihnen treiben lassen kann.

Auf der Höhe zwischen verstreut liegenden Höfen studierte ich an einer Weggabelung meine Karte.

 

 

Ein junges Paar fragte, ob es mir helfen könne.

„Ja. ich will zur Ammer hinunter, Richtung Peißenberg.“

„Sie können die Straße nehmen oder den Weg über den Reitnerhof. Beide Male kommen sie an der Ammerbrücke raus.“

Der Mann beschrieb den Weg über den Hof als den landschaftlich schöneren und natürlich verkehrsfrei. So verläuft übrigens der Prälatenweg.

Die Frau gab zu, dass dies ein wirklich schöner Weg, aber heute vielleicht nicht so gut zu laufen sei, da die „naturbelassenen“ Wege vom Regen aufgeweicht und der Abstieg in eine Schlucht nicht ungefährlich sein könnte. Auf der Strasse wäre allerdings Verkehr. „Und die rasen da die Kurven hoch. Es gibt keinen Weg neben der Strasse, das ist auch nicht ungefährlich“, wandte der Mann ein.

Für heute hatte ich genug von zugröllten und aufgeweichten Wegen. In der Beschreibung des Prälatenweges war dazu noch von einem steilen „geländegesicherten Pfad“ die Rede. Also entschied ich mich für die Straße.

 

 

Auf dem Weg von Böbing ...

 

 

... nach Peißenberg.

 

 

Laut Karte war der Weg über die Straße etwas weiter als der vorgeschlagen Prälatenweg, doch die wenigen Autos, die die Straße um diese Zeit befuhren, rasten zum Glück nicht. Unten an der Ammerbrücke, wo ich wieder auf den Prälatenweg stieß, ging es dann über einen gemütlichen Auenweg entlang des Ufers bis Peißenberg-Wörth.

Hier wird gebaut: Straße, Brücke, ich weiß nicht was. Jedenfalls presst man die Ammer in eine neue Uferbefestigung. Es wird etliche Zeit dauern, bis die Natur hier wieder Fuß fassen wird, im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Ich wandte mich in Richtung Stadt, um zu meinem Gasthof zu gelangen. Es waren immerhin noch mehr als zwei Kilometer.

 

Dann erreichte ich mein Quartier. Es ist ein traditionsreiches Haus.

 

 

Schon König Ludwig, der „Kini“ hatte auf seinen Fahrten nach Neuschwanstein hier im Gasthof „Zur Post“ Station gemacht.

Im ersten Stock am Flurende hinter Glas und Schmiedeeisen sind Sofa, Tisch und Stühle ausgestellt, die der König benutzt habe, wie man sagt.

 

 

Ich ging durch den breiten Flur, rechts und links je eine Gaststube, vor der Treppe eine Nische, die Rezeption.

Niemand war dahinter, aber genügend Personal lief hin und her, war augenscheinlich beim Aufräumen und Putzen. Deshalb nahm wohl keiner Notiz von mir.

 

Meine in den Raum gestellte Frage: “Gibt es jemanden, der zuständig ist. Ich habe ein Zimmer bestellt“, brachte ein Frau in weißer Kittelschürze dazu zu rufen:

 

„Chef! Da Frau, hat Zimmer bestellt.“

Aus der Tiefe des Hauses eine Stimme „Ja, komme.“ Ganz gemütlich.

„Chef Arbeit“, erklärte man mir.

 

Kein Problem. Ich hatte Zeit. Geduldig wartete ich, lehnte mich an den Tresen, dann setzte ich mich auf die Treppe.

Nach einiger Zeit äußerte ich in die Runde den Wunsch, ob man mir ein Weizenbier bringen könne, bis der Chef komme. Die Frau von eben antwortete: „Bedienung das“, und zeigte mit großzügiger Handbewegung auf eine Frau mit Servierschürze. Diese nickte mir bejahend zu.

Doch da erschien der Chef und reichte mir freundlich den Schlüssel, fragte noch, ob er mir mit dem Rucksack helfen könne.

Ruhige, in sich ruhende Menschen ohne Hektik, die Oberbayern.

 

Ich erinnerte mich an das, was ich über König Ludwig den Zweiten gelesen habe: dass er beliebt bei seinen Bauern und Jägern war, dass auch er die Ruhe und Gradlinigkeit liebte. Kein Wunder, wenn er in einem Haus wie diesem Einkehr hielt, vorausgesetzt es war damals schon so wie heute.

 

Übrigens, das Personal in diesem Haus schien zur Gelassenheit auch einen trockenen Humor zu haben.

 

Beim Abendessen in der Gaststube, hörte ich am Nebentisch einen Herrn die Servierkraft fragen: „Kann ich zahlen?“ Die Antwort: „I woas net. Woll mer´s probieren?“

Ob der Gast den Witz verstanden hat, weiß ich nicht, ich jedenfalls unterhielt mich königlich.

 

 

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